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Rede Dr. Andreas Heinrich - Gedenken an den Tag der Befreiung am 08.05.1945 - Gedenkveranstaltung am Ehrenmal für die Sowjetischen Soldaten im Stadtpark am 08.05.2024

Begrüßung

In Vertretung des Bürgermeisters Hendrik Sommer begrüße ich Sie herzlich zur Gedenkveranstaltung zum 79. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Dieses Ereignis steht auch unmittelbar im Zusammenhang mit der nahezu kompletten Zerstörung der Prenzlauer Innenstadt am 27./28. April 1945. Es gehört zu meinem beruflichen Tätigkeitsbereich, noch heute am Wiederaufbau dieser einst zerstörten Stadt mitwirken zu dürfen. Die Marienkirche oder die Heilig-Geist-Kapelle sind dafür Symbole. Sie werden uns stets daran erinnern, dass die Zerstörung einer Stadt in wenigen Stunden oder Tagen erfolgen kann, ihr Wiederaufbau aber Jahrzehnte/Jahrhunderte dauern wird und niemals mehr das ursprüngliche Bild hervorbringen kann. Schon das allein ist ein überaus deutlicher Bezug zu den aktuellen Geschehnissen in Europa und der Welt.

Dieses Jahr 2024 ist geradezu aufgeladen mit runden Jubiläen:

  • Wir denken an den 30. Jahrestag des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte aus dem Osten Deutschlands; mit Blick auf das Denkmal im Rücken ein besonders denkwürdiges Ereignis. Die Bundesrepublik Deutschland hat im Einigungsvertrag die Verpflichtung übernommen, die sowjetischen Gedenkstätten auf deutschem Boden zu erhalten und zu pflegen. Dieser Verpflichtung ist die Stadt Prenzlau bisher nachgekommen und wir werden das auch weiterhin vertragsgetreu tun. Wie wir das machen, darauf werde ich gleich eingehen.
  • In diesem Jahr jährt sich auch das 80-jährige Gedenken an den D-Day, die Eröffnung der 2. Front der Alliierten in der Normandie, was dazu beigetragen hat, dass der Krieg in Europa schneller beendet werden konnte. Deshalb gilt unser Dank heute an dieser Stelle allen vier Alliierten; so wir es am 8. Mai 2021 bereits an dieser Stelle getan haben, als u.a. auch der Kulturattache David Mees der US-amerikanischen Botschaft teilnahm.
  • Und in diesem Jahr begehen wir den 150. Todestag des langjährigen Bürgermeisters von Prenzlau und Präsidenten der Preußischen Nationalversammlung Carl Friedrich Grabow, dessen Denkmal nur knapp 100 Meter entfernt steht und der in dieser Stadt hochverehrt ist. Zu seinem Gedenken wird die C.F. Grabow Oberschule im August eine Festwoche begehen, in deren Rahmen wir als Stadt die Wanderausstellung des Forums für Konversion und Stadtentwicklung aufbauen und daran erinnern werden, dass die Gesamtschule Grabow ein ausgezeichnetes Beispiel erfolgreicher Konversion von militärischen Objekten hin zu einer zivilen Nutzung ist.

Und wir befinden uns im nunmehr 3. Kriegsjahr des Überfalls Russlands auf die Ukraine.

Und dennoch wird uns diese Situation nicht dazu verleiten, sowjetische Denkmale wie dieses hier abzubauen oder zu schleifen, wie das in den letzten Jahren im Baltikum geschehen ist. Da ich sowohl Lettland als auch Litauen gut kenne und zeitweise dort gelebt habe, kann ich dafür sogar ein gewisses Verständnis entwickeln.

 Es gibt bei der Erklärung der Welt kein Schwarz oder Weiß. Die Welt ist so vielschichtig wie der lebendige Mensch nur sein kann. Der Tod als das Ende menschlichen Lebens, umfasst uns alle. Der Tod diskutiert nicht. Daher kann man auch nicht mit Toten diskutieren.

Daher die klare Ansage: Wir lassen es nicht zu, dass für tagespolitische Ansichten Tote herhalten sollen. Der Angriff auf die Würde der Toten mit Schmierereien und Herabwürdigungen von Gräbern stellt einen sinnlosen Angriff auf die Erinnerung und das Gedenken an Menschen dar.

Es sind Menschen, die sich nicht mehr erklären können; Menschen, die nicht mehr diskutieren können.

Menschen, die unserem Verständnis von Leben und dessen Konflikten nichts mehr entgegensetzen können – nichts mehr als nur ihr Ende, ihren Tod.

Wer Tote und ihre Gräber für die Probleme der Gegenwart benutzt, ist nicht nur feige, denn er vergreift sich an einer von ihm nicht erlebten Vergangenheit der Toten, um diese für seine eigene Dummheit ein zweites Mal sterben zu lassen.

Dieses Denkmal, wenn auch damals aus anderen Gründen errichtet, dient heute in erster Linie dem Gedenken an jene einfachen Menschen und Soldaten, die es letztendlich ausbaden mussten: das jahrtausendelange Unvermögen dieser Spezies Mensch, seine politischen, religiösen oder sonstigen Konflikte nicht mit dem Instrument MORD lösen zu wollen.

Blicken wir auf einige Zitate von politischen Führern, Universalgelehrten, Philosophen zurück, deren Bemerkungen zu Krieg und Frieden nichts an brennender Aktualität verloren haben:

George W. Bush: „Staaten wie diese (Nordkorea, Irak, Iran) und die mit Ihnen verbündeten Terroristen bilden eine Achse des Bösen, die aufrüstet, um den Frieden der Welt zu bedrohen.“

Ernst Thälmann: „Mein Volk, dem ich angehöre und dass ich liebe, ist das deutsche Volk; und meine Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation. Eine ritterliche, stolze und harte Nation.

Mahatma Gandhi: „Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Frieden ist der Weg.“

Johann Gottfried Herder: „Friede ist der Naturzustand des unbedrängten menschlichen Geschlechts.“

Willi Brandt: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Helmut Schmidt: „Lieber Hundert Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“

Michail Gorbatschow: „An den Frieden denken, heißt an die Kinder denken.“

John F. Kennedy: „Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzten oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.“

Dalai Lama: „Eine Voraussetzung für den Frieden ist der Respekt vor dem Anderssein und vor der Vielfältigkeit des Lebens.“

Malcolm X: „Man kann Frieden und Freiheit nicht voneinander trennen; niemand kann friedlich sein, solang er nicht frei ist.“

Volksweisheit: „Politiker an die Front, dann gibt es keinen Krieg mehr.“

Benjamin Franklin: „Es gab nie einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden.“

Vladimir I. Lenin: „Der Große erscheint nur groß, wenn wir vor ihm auf den Knien rutschen.“

Vladimir Putin: „Mit Europa und den USA endet die Welt nicht.“

Frank Walther Steinmeier: „Die Verantwortungslosigkeit einiger weniger ist ein Risiko für uns alle.“

Alte Begrüßungsformel im Islam: „Salam Aleikum (Friede sei mit Dir) – Aleikum Salam. (Und Friede sei auch mit Dir)“

Die Grußformel der Juden ist der hebräische Begriff Schalom, englisch shalom, in aschkenasischer Aussprache auch Schulem oder Scholem. Er bedeutet Frieden, Wohlergehen bzw. Heil.

August Bebel: „Jeder Krieg birgt gewissermaßen einen neuen in seinen Falten.“

Krösus, König von Lydien: „Im Frieden werden die Väter von Ihren Kindern begraben, im Krieg aber die Kinder von den Vätern.“

Carl von Clausewitz: „Selten ist in Europa überall Frieden und nie geht der Krieg in den anderen Weltteilen aus.“

Carl von Clausewitz: Das russische Reich ist kein Land, das man förmlich erobern, d. h. besetzt halten kann, wenigstens nicht mit den Kräften jetziger europäischer Staaten. Ein solches Land kann nur bezwungen werden durch eigene Schwäche und durch die Wirrungen des inneren Zwiespalts.

Otto von Bismarck: „Je stärker wir sind, desto unwahrscheinlicher ist der Krieg.“

Claus Schenk von Stauffenberg: „Der Narr macht Krieg.“

Josef Stalin: „Gedanken sind mächtiger als Waffen. Wir erlauben es unseren Bürgern nicht, Waffen zu führen – Warum sollten wir es Ihnen dann erlauben, selbstständig zu denken?“

Josef Stalin: „Ein einzelner Toter ist eine Tragödie; eine Million Tote sind eine Statistik.“ 

Markus Tullius Cicero: „Ich mahne unablässig zum Frieden; dieser, auch ein ungerechter, ist besser als der gerechteste Krieg.“

Matthäus 5, 9 : „Selig sind Friedfertigen; denn Sie werden Gottes Kinder heißen.“

Platon: „Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen.“

Emanuel Kant: „Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft.“

Mark Twain: „Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat, aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt “

Aristotelis: „Es genügt nicht einen Krieg zu gewinnen, wichtiger ist es, den Frieden zu organisieren.“

Diese Zitate sind Äußerungen verschiedener Persönlichkeiten zu verschiedenen politischen Konflikten. Nichts ist im Leben schwarz oder weiß.

Die Bekenntnisse zum Frieden sind so vielschichtig wie die Menschen.  Bekenntnisse zum Krieg haben dagegen immer etwas Schlichtes, Unmenschliches.

Dieses Denkmal in meinem Rücken ist nicht nur ein Denkmal für die in und um Prenzlau gefallenen sowjetischen Soldaten, sondern es ist auch ein Friedhof. Deshalb ist es umfriedet, wie ein richtiger Friedhof.

Seit 2021 erstellen die Stadt Prenzlau und das Büro für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit der Botschaft der Russischen Föderation (quasi die russische Variante des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge) Gräberlisten der hier beigesetzten Soldaten. Aus dieser Zusammenarbeit erwuchsen 42 neue Identitäten, d.h. 42 nun geklärte Schicksale sowjetischer Soldaten - Väter, Brüder, Söhne sowjetischer Familien, die im Kampf um Prenzlau 1945 fielen.

Im Februar 2022 entstand die surreale Situation, dass russische Truppen ein Land, welches bis 1991 zur Sowjetunion gehörte, überfiel und wir mitfieberten, ob die Ukrainer dem widerstehen können.

Zur gleichen Zeit arbeitete ein deutscher Steinmetz daran, die 42 Namen sowjetischer Soldaten in kyrillischen Buchstaben auf Gedenktafeln zu verewigen. Diese Tafeln wurden von uns im Mai 2022 auf dieser Anlage angebracht.

Wir werden weiter daran wirken, bisher namenlosen Toten des Krieges ihre Identitäten wiederzugeben. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, Schicksale zu klären und den Angehörigen die Gewissheit zu geben, dass die von Ihnen betrauerten Opfer nicht vergessen sind – gleich ob Freund oder Feind. Gleich ob Deutscher, Ukrainer, Russe, Lette, Litauer, Georgier oder Engländer, Amerikaner oder Franzose. Es waren und es sind alles Menschen, die sich ihre Nationalität nicht aussuchen konnten und die den höchsten Preis für politische Entscheidungen zahlten: ihr Leben.

Dieser Erkenntnis folgend, wird sich die Stadt Prenzlau immer dafür einsetzen, dass Kriegstoten die Würde der Nennung ihrer Namen zurückgegeben wird. Gemäß dem Bibelwort

Jesaja 43,1: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Im Sommer 2023 informierte uns das genannte Büro der russischen Botschaft, dass neuere Recherchen ergeben haben, dass unsere Gräberliste für diesen Friedhof ergänzt werden muss und sieben weitere Namen hier verewigt werden könnten. Diesem Hinweis sind wir im Rahmen der Fortschreibung unserer Gräberlisten gefolgt. Die sieben Namen wurden ebenfalls hier verewigt und werden heute öffentlich präsentiert.

Somit erfüllen wir unsere vertraglichen Verpflichtungen aus dem Einigungsvertrag und erinnern an jene sowjetischen Soldaten, die in dieser Region gefallen sind.

Ich persönlich finde den russischen Gedanken/Begriff der VEREWIGUNG sehr gut. Er gibt dem einfachen, häufig anonym bleibenden Soldaten wieder einen Namen und seinen Nachkommen sogar einen Platz zur Trauer. Das ist unheimlich wichtig, auch 80 Jahre nach dem letzten Krieg! Das weiß ich als langjähriges Mitglied des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. In diesem Zusammenhang begrüße ich den Geschäftsführer des Landesverbandes Brandenburg Oliver Breithaupt. 

Mehr als ein Viertel der über 830 Kriegsgräberstätten des Volksbundes befinden sich allein in Russland. Daher ist es wichtig, den Kontakt auf dieser Ebene nach dort nicht abbrechen zu lassen. Solche Aktivitäten wie hier in Prenzlau schaffen Vertrauen bei den russischen Stellen, damit auch unsere Soldaten, die noch in russischer Erde ruhen, geborgen werden können, ihre Identität zurückbekommen und dem Vergessen entrissen werden.

Aber wir müssen feststellen, dass auch nicht jeder deutsche Soldat, der auf unseren Friedhöfen liegt, bereits „verewigt“ wurde. Wir wissen teilweise, dass er dort liegt, teilweise kennen wir auch seinen Namen und sein Geburts- und Sterbedatum, aber nichts erinnert an ihn, weil häufig Grabkennzeichnungen fehlen, und sei es nur ein hölzernes Grabkreuz mit seinen Daten und einem Eisernen Kreuz. Wir nennen sie die bekannten, unbekannten Soldaten.

Der Volksbund strebt an, auch mit Unterstützung der Stadt Prenzlau, den deutschen Soldaten, denen ein Grabkennzeichen bisher nicht gegeben werden konnte oder wollte, Grabkreuze auf ihre Gräber zu stellen. Grabkreuze aus Holz, mit Namen und Daten.

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Da wir aber heute auf einem sowjetischen Friedhof stehen und, wie man sieht, die Liste der Soldaten noch lange nicht abgeschlossen ist, errichte ich hier symbolisch ein orthodoxes Grabkreuz für alle noch in der Erde liegenden unbekannten Soldaten; in der Hoffnung, dass dies auch den deutschen Soldaten auf unseren Friedhöfen zuteilwird.

Ich beende heute diese Rede wiederum wie in den Vorjahren mit jenem Bibelwort aus Jeremia 29, 11, welches wir schon 2021 hier vorgetragen haben:
Gott ist überaus gut – er will uns Zukunft und Hoffnung schenken: „Denn ich weiß, was für Gedanken ich über euch habe, spricht der HERR, Gedanken des Friedens und nicht des Leides, euch eine Zukunft und eine Hoffnung zu geben.“

Und zu Ehren der hier beigesetzten sowjetischen Soldaten wiederhole ich dies in Russisch:

„Слова надежды“

Бог очень добр - он хочет дать нам будущность и надежду
Иеремия 29,11: «Ибо только Я знаю намерения, какие имею о вас, говорит Господь, намерения во благо, а не на зло, чтобы дать вам будущность и надежду.»
(Bibel - synodale Übersetzung)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Kommen.
Bitte lassen Sie uns nun die Kränze richten, Blumen niederlegen und die Toten ehren!
Im Anschluss daran hören Sie noch ein Musikstück des Posaunenchores. 

Dr. Andreas Heinrich
Zweiter Beigeordneter
Prenzlau, den 8. Mai 2024

 

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